Hitze, ein Vierfachsieger, ein Doppelsieg, ein Geher und ein 90-Jähriger
Der Läuferzehnkampf 2017 in Hengelo stand unter einem gnadenlos leuchtenden Stern. Während es am Mittwoch vor dem Wettkampf mit 17 Grad noch recht kühl war, stieg die Temperatur bis Samstagabend auf 31 Grad. Bereits am 2. Tag zeigte das Thermometer auf der Laufbahn unangenehme 40 Grad an, obwohl es im Schatten mit 22 noch recht angenehm war. Zudem blies ein kräftiger Wind, der zwar an manchen Stellen eine kleine Erfrischung brachte, aber auch eine Menge Kraft kostete. Am Sonntag ging vor den 10-km-Läufen ein Gewitterschauer nieder. Der brachte zwar etwas Abkühlung, aber die Sonne kam wieder und verwandelte das Stadion in eine Dampfküche, was das Laufen nicht einfacher machte.
Bei den Männern war es spannend wie selten zuvor. Zwei Niederländer, Ronald Kuin (AV Daventria 1906) und Branco van Minnen (MPM Hengelo), wechselten sich lange Zeit an der Spitze ab. Knapp dahinter kämpften die beiden Deutschen Thomas Häusler (SV Hermsdorf) und Jonas Busse (VfB Fallersleben) um Platz 3. Am Ende des dritten Tages stand Thomas Häusler mit 89 Punkten Rückstand zum Führenden auf Platz 3 – ein Rückstand, der für Thomas auf den 10.000 m eigentlich kein Problem ist. Eigentlich.
Während Thomas 2015 mit Daniel Greiner einen Tempomacher hatte (beiden kamen 2015 zeitgleich ins Ziel), musste er in diesem Jahr allein kämpfen. Der Niederländer Wouter Doesburg (LAAC Twente, Gesamtplatz 5) zog von Anfang das Tempo an, was Thomas in die Nähe seiner Bestzeit gebracht hätte, die er aber bei deutlich kühleren Temperaturen gelaufen ist. Die Gruppe hinter ihm hatte rund eine halbe Runde Rückstand, zu viel um zu „warten“. Aber Vater Andreas hatte das Rennen ordentlich durchgerechnet, wieviel Vorsprung nötig ist, um die Mission Gesamtsieg zum Erfolg zu führen. Am Ende gewann Thomas mit 16 Punkten Vorsprung vor Ronald Kuin und Branco van Minnen, knapper geht es fast nicht. Damit gewann er als Erster überhaupt den Läuferzehnkampf zum vierten Mal. Sein Kommentar kurz nach dem Lauf: „So schwer war es noch nie.“
Bei den Frauen lief Maren Schott (TSV Bayer 04 Leverkusen) nahezu unbeeindruckt von der Temperatur und besonders auf den Mittelstrecken in eindrucksvoller Weise ihrer Konkurrenz davon. Nach dem ersten Tag hatte sie schon fast 300 Punkte Vorsprung vor den Verfolgerinnen Corinna Beck (SG TSV Kronshagen / Kieler TB) und Ricarda Hotz (TSV Stetten a.k.M.). Den Vorsprung konnte sie bis ins Ziel mitnehmen. So sicherte Maren sich den zweiten Gesamtsieg bei ihrer zweiten Teilnahme am Läuferzehnkampf.
Hinter Maren Schott tobte ein knapper Kampf zwischen Ricarda Hotz und Corinna Beck (Beide W20). Aus Ricardas Sicht sahen die Abstände nach den einzelnen Disziplinen so aus: Tag 1: +67, +26, -10; Tag 2: +44, +31, -22; Tag 3: -24, -37, -45. Sie hatte also am Ende jedes Tages einen kleinen Rückstand auf Corinna. Den 10-km-Lauf gewann sie mit 1:10 Minuten vor Corinna, was exakt 45 Punkten entsprach. Beide wurden also Gesamtzweite. Dass zwei Teilnehmer die gleiche Punktzahl am Ende haben, kommt gelegentlich vor. Dass eine Altersklasse zwei Sieger hatte, gab es auch schon einmal. Aber dass in der Gesamtwertung ein Podestplatz geteilt wurde, das gab es noch nie zuvor.
Eine weitere Neuheit brachte Joni van Loon auf die Laufbahn. Joni war 2013 der erste Niederländer überhaupt, der an einem Läuferzehnkampf teilnahm. Er war auch maßgeblich daran beteiligt, den Läuferzehnkampf nach Hengelo zu holen. Entsprechend wollte er auch am Läuferzehnkampf „vor seiner Haustür“ teilnehmen, obwohl er schon längst zum Gehen gewechselt ist. Im Gegensatz zum Gehen, wo immer ein Fuß den Boden berühren muss, gibt es beim Laufen keine Regel, wie gelaufen werden muss. Also nutzte Joni den Läuferzehnkampf als Training für die Europameisterschaft im 20-km-Gehen und absolvierte alle längeren Strecken im Geher-Stil. Über 10.000 m erreichte er mit 49:54 Minuten zum ersten Mal einen Geschwindigkeitsschnitt von 12 km/h. Hoffen wir, dass die Kampfrichter beim Gehen mit seinem Stil zufrieden sind und Joni bei der EM ebenfalls nah an die 12 km/h kommt.
Mit ganz anderen Geschwindigkeiten kam Jiří Soukup (TJ LIGA 100 Hradec Králové) aus Tschechien ins Ziel. Mit 89 Jahren und 11 Monaten ist er der älteste Läuferzehnkämpfer aller Zeiten. Er nahm zum dritten Mal teil und war bereits bei seiner ersten Teilnahme 2013 mit 86 Jahren der älteste Teilnehmer aller Zeiten. 2015 konnte er nicht teilnehmen, weil er verletzt war, 2016 heiratete sein Sohn. 2017 war er wieder dabei. Anfangs hatte er Probleme, eine Unterkunft zu finden, später Probleme von dort ins Stadion zu finden. Bei beiden halfen die Sportler aus Hengelo und sogar die Polizei, so dass er gut ausgeruht und pünktlich zum Wettkampf im Stadion war.
Jiří liebt eher kühles Wetter und hatte wahrscheinlich viel mehr als alle anderen mit der Hitze zu kämpfen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn seine Läufe dauern rund doppelt so lange wie bei den anderen. Über 1.500 m freute er sich über eine Zeit von weniger als 10 Minuten pro Kilometer. Ab dem zweiten Tag startete Jiří immer im vorletzten Lauf, damit er ungefähr mit dem letzten Lauf ins Ziel kommt. Das war für alle Beteiligten eine sehr schöne Lösung. Am Ende hat er seine 10 Disziplinen erfolgreich und unverletzt absolviert. Leider lag sein 90. Geburtstag erst einen Monat nach dem L10K, so musste er (letztmalig) in der M85 starten. In der M90 hätte er viel mehr Punkte mit Altersfaktor bekommen. Im nächsten Jahr dann …
Wenn man Jiří Soukup beim Laufen zusieht, merkt man sein hohes Alter. Ganz anders sieht es bei der „ältesten Frau aller Zeiten“ aus. Die ebenfalls auch Tschechien kommende Miloslava Keprtová (ISCAREX Česká Třebová) hat bereits das letzte Jahr in der W65 erreicht, aber sie hat noch einen sehr dynamischen Laufstil und kam bei den meisten Läufen nur mit einem kleinen Rückstand ins Ziel. Über 5 km und 10 km konnte sie sogar eine Konkurrentin hinter sich lassen. Wenn man ihr Alter nicht weiß, würde man sie nicht als die „älteste Frau“ erkennen. Vielleicht gibt es im nächsten Jahr zum ersten Mal die Altersklasse W70 …
Nicht nur die Schnellsten und Ältesten sind gut ins Ziel gekommen, sondern auch die Jüngsten. Die jüngsten Teilnehmer, die den L10K komplett absolviert haben waren 14 Jahre. Der allerjüngste Teilnehmer war mit 11 Jahren Leny Oberli aus der Schweiz, der sich an die 5.000 m wagte. Auch in allen anderen Altersklassen gab es wieder viele persönliche Bestleistungen, allerdings hatte es in diesem Jahr keiner der „alten Hasen“ geschafft, auf allen 10 Strecken eine Bestzeit zu laufen, was sicher auch wieder an Hitze und Wind lag.
Insgesamt war es eine sehr gute Veranstaltung: Gute Stimmung im Stadion, Getränke im Ziel, Imbiss in der Kantine, zwei interessante Abendveranstaltungen, eine Party im Stadion mit sehr umfangreichen Buffet. Bei der Siegerehrung ging es etwas durcheinander, was es aber auch lustig gemacht hat. Die Ursache dafür lag an der Verspätung beim Drucken und an der anwesenden Prominenz. Als einzigen Kritikpunkt muss ich anbringen, dass es beim Rundenzählen über 5.000 und 10.000 m Fehler gab. Leider kenne ich kein „Geheimrezept“, wie es immer funktioniert: Ich habe schon Chaos mit dem Aufschreiben von Rundenzeiten erlebt, es gab aber auch schon perfekte Zählungen mit dem System, was auch in Hengelo zum Einsatz kam. Wie auch immer, am Ende habe ich bei der Siegerehrung und bei der Ehrenrunde viele glückliche Gesichter gesehen und von vielen gehört, dass sie im nächsten Jahr nach Winterlingen in Baden-Württemberg kommen wollen.
Uwe Warmuth, 30.6.2017